Ist Multiple Sklerose eine „normale“ Autoimmunerkrankung?

Dass der menschliche Körper über ein Immunsystem verfügt, mit dem Krankheitserreger bekämpft werden, gehört zur heutigen Allgemeinbildung. Die Tatsache hingegen, dass es im menschlichen Körper faktisch zwei voneinander getrennte Immunsysteme gibt, wissen nur die Wenigsten. - Tatsächlich verfügt das Zentralnervensystem über ein eigenes Immunsystem. Man bezeichnet deshalb das Gehirn als immunprivilegiertes Organ.(1)

Die Trennung dieser beiden Immunsysteme erfolgt durch die sogenannte Blut-Hirn-Schranke. Sie besteht im Wesentlichen aus Endothelzellen und kleidet die Blutgefäße im Gehirn aus, die dieses mit Sauerstoff und Glukose versorgen. Die Bluthirnschranke ist also für verschiedene Substanzen passierbar, aber nicht nur für Glukose und Sauerstoff, sondern z. B. auch für Alkohol und andere Drogen, die auf das Gehirn einwirken (ansonsten würden Menschen keinen Rausch erleben). Normalerweise ist sie jedoch für die Immunzellen, die im menschlichen Blut zirkulieren, unpassierbar.

Schematische Darstellung des Endothels mit Astrozyten in der Blut-Hirn-Schranke.(2)

 

Im Fall der Multiplen Sklerose soll es jedoch Zellen des „normalen“ Immunsystems gelingen, die Bluthirnschranke zu überwinden. Erst nachdem dies geschehen ist, könnte es zur Attacke auf das körpereigene Nervengewebe kommen.

Multiple Sklerose ist also keine Autoimmunkrankheit im klassischen Sinne, denn die verantwortlichen Immunzellen befinden sich in einem Organ, in dem sie unter physiologischen Gesichtspunkten gar nichts zu suchen haben!

 

Einzelnachweise:

(1) Ulrich, Oliver: DAS IMMUNSYSTEM DES ZNS - MOLEKULARE MECHANISMEN DER BALANCE ZWISCHEN SCHUTZ UND SCHÄDIGUNG,in: MAGDEBURGER WISSENSCHAFTSJOURNAL, 1-2/2005, S. 3.

(2) „Astrocyte endothel interaction 01“ von Kuebi = Armin Kübelbeck - own work, inspired by N. J. Abbott: Astrocyte-endothelial interactions and blood-brain barrier permeability. J Anat. 2002 Jun;200(6):629-38. PMID 12162730. Lizenziert unter Creative Commons Attribution 3.0 über Wikimedia Commons - http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Astrocyte_endothel_interaction_01.png#mediaviewer/File:Astrocyte_endothel_interaction_01.png

 

Autor: Christian Brandau –  Der Text ist unter der Lizenz „Attribution-NoDerivatives 4.0 International (CC BY-ND 4.0)“ verfügbar
 

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